Die Overnight-Prämie: Warum man Aktien nicht am Abend verkaufen sollte

Die meisten Klein- und Privatanleger verkaufen ihr Aktien am Abend, denn ein Großteil von ihnen meidet die potentiellen Risiken, die über Nacht herrschen. Dass es sich hierbei jedoch um eine psychologische Risiko-Wahrnehmungs-Verzerrung handelt, beweisen nun aktuelle Datenauswertungen des DAX.
Im Zeitraum von 2000 bis 2017 wurden drei Kursentwicklungen* gegenübergestellt und verglichen:



  • Wer vom 4. Januar 2000 bis zum 11. April 2017 durchgehend in dem deutschen Leitindex investiert gewesen wäre, könnte sich nun über einen Wertzuwachs von gut 80% freuen. (Schwarzer Kursverlauf)
  • Hätte ein Anleger in diesem Zeitraum an jedem Handelstag eine klassische Long-Position (auf den DAX) zur Handelseröffnung (Xetra) aufgebaut, und diese am selben Tag zum Handelsschluss (Xetra) liquidiert, so stünde eine enttäuschende Performance von -35% zu Buche. (Grauer Kursverlauf)
  • Ein Anleger, der in jenem Zeitraum hingegen ausschließlich außerbörslich (Xetra) investiert gewesen wäre, ergo an jedem Handelstag um 17:30 Uhr eine Position aufgebaut, jene über Nacht gehalten und erst am Morgen glattgestellt hätte, erzielte eine starke Performance von +178% .
  • Somit hätte jener Anleger, durch Overnight-Investitionen, den Benchmark um mehr als das doppelte geschlagen. (Roter Kursverlauf)
Doch wieso kann die Overnight-Strategie eine solche Outperformance aufweisen?

Investoren, die über Nacht investiert sind, sehen sich größeren Risiken gegenüber:
Zum einen ist die Liquidität niedriger, was die Volatilität und damit die Gefahr für stark schwankende Kurse begünstigt. Dieser Effekt ist den meisten Anlegern aus den Sommermonaten an der Börse bekannt. Die Börsenregel "Sell in May..." basiert auf den niedrigen Volumina im "Sommerloch". Es fehlen die "starken Hände" (hohes Volumen), um irrationale Kursübertreibungen zum Gleichgewicht zurückzuführen. Nicht umsonst werden Volatilitätsindizes auch als "Angstbarometer" bezeichnet.

Zum anderen haben, während der außerbörslichen Zeit, international wichtige Börsen geöffnet. Spät abends agieren die Amerikaner an der Wallstreet und in den frühen Morgenstunden können auch die asiatischen Börsen schon für Unruhe an den Kapitalmärkten sorgen. Zusammen mit dem niedrigen Volumen an der Heimatbörse erhöht sich dadurch das Risiko.

Die empirischen Daten indizieren jedoch, dass Overnight-Investoren für jenen Risikoaufschlag eine Prämie einfordern, die sog. Overnight-Prämie.
Es zeigt sich sogar, dass die Gewinnwahrscheinlichkeit (im betrachteten Zeitraum) bei einem "über Nacht" Investment bei über 54% lag. Der Risikozuschlag wird an der Börse also attraktiv vergütet.

Als Anleger sollte man sich also fragen, ob man bis zur Positionsliquidierung nicht doch bis zum nächsten Morgen abwarten sollte. Auch wenn die kognitive Verzerrung (das Gehirn gewichtet die Risiken stärker als die Chancen) uns vor den nächtlichen Gefahren schützen möchte, sollte man die Overnight-Prämie immer im Hinterkopf behalten.


Ein großer Dank geht an die HSBC Bank Deutschland und Godmode-Trader, welche die Daten für diese Analyse zur Verfügung gestellt haben. Bildquelle: Godmode-Trader

*Vernachlässigung von Transaktionskosten und Gebühren für standardisierten Benchmarkvergleich